Geschäftschancen

Die ukrainische Wirtschaft ist deutlich stabiler und resilienter als in vorigen Krisen. Das Corona-bedingt von 2 auf ca. 8% des BIP gestiegene Budgetdefizit könnte die Ukraine jedoch nicht ohne Hilfe internationaler Geldgeber finanzieren. Die am 9.6. erfolgte Zustimmung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einem 18-monatigen Hilfsprogramm in Höhe von 5 Mrd. USD ist daher für die makrofinanzielle Stabilität des Landes von entscheidender Bedeutung. Dieser so genannten „Stand-By-Vereinbarung“ gingen monatelange Verhandlungen voraus. Voraussetzung für die Genehmigung war mitunter die Umsetzung zweier wichtiger Reformen, der Land- und der Bankenreform.

Die Corona-Krise beschleunigt den Wandel von einer Schwer- zu Leichtindustrie. Die Produktion der überalterten Schwerindustrie v.a. im Osten und Süden des Landes ist bereits seit Jahren rückläufig. Es besteht dringender Modernisierungsbedarf, da seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 zu wenig in neue Anlagen und Technologien investiert wurde. Die kapitalintensive Produktion von Metallurgie sowie Maschinen ist am stärksten rückläufig. Im Gegensatz dazu konnte die Chemische und Pharmaindustrie Zuwächse verzeichnen.

Weitere Bereiche mit Potenzial sind die lebensmittelverarbeitende Industrie, die elektrische Produktion, Möbel und Textilien. 2019 entfielen 16,4% der Wirtschaftsleistung auf die Industrie. Trotz Corona entwickeln sich die beiden Wachstumstreiber IT- und Landwirtschaft dank steigender Nachfrage positiv. Die Ukraine zählt mittlerweile zu den weltweit besten Ländern für das Outsourcing von IT-Dienstleistungen.

Die IT-Branche wächst jährlich um 20-25% und erzielte 2019 Exporte in Höhe von 4,17 Milliarden USD.

Nur die ukrainische Landwirtschaft übertrifft mit Exporten von 18 Milliarden USD den IT- Sektor. Als einer der weltweit wichtigsten Agrarproduzenten- und Exporteure (Sonnenblumenöl, Gerste, Mais, Weizen, Soja, Honig, Walnüsse, Äpfel, Kirschen etc.) mit großem noch brachliegenden Potenzial, kommt der Ukraine eine strategische Bedeutung in der weltweiten Nahrungsmittelsicherheit zu. Internationalen Organisationen unterstützen den Aufbau einer nachhaltigen Vieh- und Agrarwirtschaft mit technischer Hilfe und Zugang zu Finanzierung.

Der Ausbau der Schwarzmeerhäfen und wachsende Handelsbeziehungen mit Asien und dem Nahen Osten, stärken die Rolle der Ukraine als strategischer Logistikhub.

Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die Ukraine in einem Prozess befindet, den die westlichen Nachbarn der Ukraine in Mitteleuropa vor mehr als 20 Jahren begonnen haben: Die Schwerindustrie verliert an Bedeutung, gleichzeitig tritt die Leichtindustrie an deren Stelle. Statt in Kohle und Stahl liegt die Zukunft der Ukraine heute eher in der verarbeitenden Industrie, wie der Lebensmittel- und Futterproduktion, der Bekleidungs- und Möbelindustrie sowie der Elektroindustrie.

Der dringend notwendige Ausbau der Infrastruktur bei Straße, Schiene, Luft- und Schifffahrt sowie der Energieversorgung wird in den nächsten Jahren zu milliardenschweren Investitionen in der Ukraine führen. Erste Projekte, die von internationalen Geldgebern, wie der Weltbank oder der EBRD, finanziert werden – zum Beispiel zur Krankenhausmodernisierung – haben bereits begonnen.

Verstärkt durch die Corona-Krise rückt das unterfinanzierte Gesundheitssystem stark in den Fokus. Gesundheitstourismus nach Deutschland und u.a. auch nach Bayern gewinnt an Bedeutung sowie Investitionen in Privatkliniken und Sanatorien in der Ukraine.

Das aktuelle Regierungsprogramm „Der Große Bau“ sieht in den kommenden fünf Jahren Milliarden an Investitionen in die Modernisierung der Infrastruktur (Straße, Schiene, Flug-und Seehäfen) vor. Internationale Finanzinstitute unterstützen zahlreiche Projekte. Gefragt sind deutsche und darunter auch bayerische Expertise, Beratung, Engineering, Verkehrstechnologien, Smart City-Konzepte, Logistik etc.

Auch die bessere Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen sowie die energieeffizientere Ausrichtung von Industrie und privaten Haushalten ist für die Ukraine heute eine Frage der nationalen Sicherheit.

Potenzial, das bislang u.a. aufgrund unklarer rechtlicher Rahmenbedingungen noch zu wenig gehoben werden kann, besteht in Projekten im Bereich Solar, Wind, Biomasse und Geothermie. 70% Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2050 sieht der Ukrainische „Green Deal“ vor. Die Importabhängigkeit, überalterte Kohlekraftwerke sowie Atomenergie sollen bis dahin obsolet sein.